[Geschichte] Horizont

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Guest

[Geschichte] Horizont

Post by Guest » Sun, 3. Jul 05, 01:22

Da bin ich wieder. :)
Diesmal eine Geschichte, die nichts mit Science-Fiction oder dem X-Universum zu tun hat, also eigentlich beinahe OT, aber ich glaube es passt hier doch auch ganz gut. ;)
Im ersten Kapitel scheint von der eigentlichen Handlung noch nicht allzu viel durch, die späteren Teile werden da mehr Klarheit schaffen.

Nun denn, mögen die Spiele beginnen. :)

Prolog:
Der Horizont ist nur eine Etappe!

Kapitel I.
Frohes Fest auf hoher See

„Aufwachen, Alarm!“, schrie Antonio Vicente, einer der höheren Offiziere an Bord des imperialen Segelschiffes Galleja Grande. Die Soldaten in den Hängematten unter Deck sprangen sofort auf und rannten hoch an Deck, gingen allesamt in Position und warteten die Befehle ihres Kapitäns ab. Lediglich ein Mann blieb in seinem Bett und streckte sich erst einmal; es war erst früh am Morgen, was sollte jetzt schon passieren.
Die Sonne würde in voraussichtlich einer halben Stunde über den Meeresrand kriechen, momentan ließ sich nur in schwachem Dämmerlicht das sanft wogende Meer erkennen. Nur wenige Schäfchenwolken würden später den Himmel schmücken. Die Galleja Grande war kein normales Schlachtschiff des Kaisers, es handelte sich um das Flagschiff der gigantischen Hauptflotte, die in den letzten Monaten leider größtenteils auf den Grund des Meeres verfrachtet worden war.
Ein Geschwader von nur mehr vier monströsen, reich verzierten Dreimastern des heiligen Zahra-Reiches segelte gen Osten in die bald aufgehende Sonne.
Einige Pfeile, an denen Nachrichten festgebunden waren, zischten zwischen den Schiffen hin und her; die beliebteste Art der Kommunikation auf dem Meer, bei Feindschiffen nutzte man auch Brandpfeile.
Großkapitän Majestro hatte sich vorbereitet, er hatte mit Feindkontakt gerechnet. Ursprünglich sollte er im Namen des Kaisers in die Gewässer des Feindlandes Yonebatashima vordringen, die Situation auskundschaften und gegebenenfalls angreifen, doch wie immer waren die Yoni dem Kaiser einen Schritt voraus, seine Flotte sollte offenbar abgefangen werden.
„Es sind Yoni!“, bestätigte nun auch Ruben Salvador, der Späher im Ausguck, laut rufend. Das war allen klar, die anderen Reiche hielten sich von diesem Konflikt fern. Die letzte Hoffnung darauf, dass sie nur einer neutralen Handelsflotte begegneten, schwand, und die Kanoniere begannen ihre Waffen zu laden, ohne einen Befehl abzuwarten, es war doch klar, was geschehen würde. Yoni verstehen keinen Spaß, zumindest nicht, wenn man versucht ihre Hafenstädte auszuradieren.
Majestro stand auf, richtete den Kragen seiner königsblauen, mit goldenen Knöpfen und Schulterabzeichen verzierten Uniform, und verließ die Kapitänskabine, deren Ausgang ihn direkt auf das Deck seines stolzen Flagschiffes führte.
Alle Mann schlugen die Schuhe gegeneinander und salutierten kurz, als die Tür ins Schloss fiel, gingen dann wieder schnellstens ihrer Arbeit nach. Der Kapitän nickte zufrieden.
„Vicente!“, rief er, und sofort trabte der Offizier an. Die Kleidung war ganz ähnlich, nur nicht so sehr verziert und ein Federhut fehlte dem Soldaten.
„Kaeptn?“, fragte Antonio.
„Die Pfeilboten sollen meinen Befehl an meine anderen Schiffe weitergeben.“ Er überreichte Antonio ein Blatt alten Papiers. „Lass dies schnell in dreifacher Ausführung abzeichnen und versenden.“
Der Offizier salutierte und rannte los, Majestro spielte ein wenig an seinem Säbel herum. Dies würde eine große Schlacht werden und es konnte nur einen Sieger geben.

Unter Deck hingegen war es relativ ruhig. Der letzte hier unten verbleibende Soldat des Kaisers suchte gerade noch verzweifelt seine Hose, die Schuhe hatte er schon angezogen. Schlachten am frühen Morgen waren ihm verhasst.
„Dante...“, flüsterte jemand leise lachend. „Auf deinem Bett.“
Der Soldat sah hin und fand sein Beinkleid. „In der Tat, oh Juan. Er hat meine Hose gefunden, ich bin ihm zu tiefstem Dank verpflichtet.“
Er machte einen höflichen Knicks, dann brachen beide in Gelächter aus und Dante zog sich weiter an.
„Na, was gibt´s? Hat unser Offizier mal wieder einen kleinen Weckruf gestartet, um die Crew zu testen, oder ziehen wirklich Feinde auf?“, fragte Juan, der, nebenbei erwähnt, aussah wie ein Bauer in Lumpenkleidung.
„Was auch immer“, sagte Dante. „Es ist doch immer das Gleiche, Kanonen hier, Säbel da... das bringt einen nicht mehr aus der Ruhe. Was gibt´s denn heut´ zu spachteln, mein Smutje?“
„Du solltest dir vielleicht mehr Sorgen um das Gefecht machen, zu essen gibt es doch jeden Tag nur die Reste von gestern.“ Er grinste, Dante nickte kichernd und zerriss beinahe einen Knopf seines Hemds, dessen Fehlen unter all den Flecken und Flicken kaum aufgefallen wäre.
„Nun denn, die Pflicht ruft“, sagte Dante, nun in voller Montur, und ging zur Leiter.
„Heute nimmst du keine Waffen in die Schlacht?“, zweifelte Juan und deutete zum Säbel, der sich mal wieder nicht am Gürtel des Soldaten befand. Dante blickte an sich hinab. „Potzblitz.“

Die beiden Flotten stürmten aufeinander zu, die Yoni von Osten her, die Zahra aus dem Westen. Mittlerweile hatte Ruben die Feindstärke mit seinem Fernrohr ermitteln können, es handelte sich um sechs Korvetten, deutlich kleiner als die Schlachtschiffe des Kaisers, aber auch deutlich schneller.
Dante kam, diesmal wirklich in voller Montur, an Deck.
„Soldat!“, rief Vicente. „Gut, dass du kommst, zeichne dies dreimal ab und bring es dann Sarita, sie soll die Kopien an unsere Kapitäne schicken!“
„Aye Kaeptn“, sagte Dante und nahm das Papier entgegen.
Vicente sah den Soldaten schräg an; Kaeptn? Nun, klang nicht schlecht, was soll´s, eines Tages würde er sowieso... er schüttelte sich und rannte zu den Kanonieren, um irgendetwas Aufmunterndes zu schreien.
Dante sah das Papier an, es handelte sich um eine Zeichnung der typischen kaiserlichen Angriffstaktik: Augen zu und durch. Die Schiffe sollten schlicht in einer Reihe vordringen und wild drauf los ballern, wenn die Yoni an ihnen vorbeisegeln. Dante rannte in die Offizierskajüte, machte kurzerhand drei Kopien eines leicht veränderten Befehles und ging dann wieder an Deck und über einige Treppen auf den oberen hinteren Teil des Schiffes, auf dem nicht nur der Steuermann stand, sondern auch Sarita mit ihrem Bogen wartete.
„Sarita!“, rief Dante. „Hier, einen Befehl für jedes Schiff, hau rein.“
Sie war eine der wenigen Damen an Bord, und das auch nur, weil man auf die Schnelle keinen so exzellenten männlichen Bogenschützen gefunden hatte. Sie band die Papiere an Pfeile und schoss einen auf jedes der anderen Schiffe; als Ziel waren große Holzscheiben vorgesehen, die man auf den Plateaus der Pfeilboten installiert hatte.
Ruben betrachtete den Vorgang durch sein Fernrohr.
„Zweimal ins Schwarze und einmal zwölf Punkte!“, rief er und wandte sich dann wieder der Feindflotte zu. Sarita machte sich ein paar Markierungen im Boden.
„Wir müssen mal Dart spielen“, sagte Dante kopfschüttelnd.
„Wahrhaftig, ich muss dich mal wieder besiegen.“
„Im Schach habe dich geschlagen.“
„Weil ich betrunken war.“
„Sieg ist Sieg.“
„Du hast meine Spielfiguren angezündet...“
„Du machst es einem auch nicht leicht...“
Kriegshörner ertönten, die Kapitäne der anderen drei Schiffe ließen damit die Befehle bestätigen und gingen in gefächerte leichte Keilformation zur Galleja Grande.
„Nun denn, ich werde dann mal schauen, ob ich meine Kanone finden und sabotieren kann“, sagte Dante und ging mit diesen Worten wieder die Treppen hinunter zu den anderen Soldaten.

Auf den Korvetten der Yoni hingegen war die Stimmung eher... gelassen? Weder waren die Kanonen geladen, noch wurde ein Entermanöver vorbereitet, und die Kommandantin saß seelenruhig in ihrer Kabine auf dem Flagschiff.
In jenem Schiff, das ganz links außen segelte, erhob sich Tsuyoshi aus seinem Bett und ging gelangweilt an Deck. Er war kein Soldat, er war Handwerker, und er hatte es zustande gebracht nach den Schiffsreparaturen einzuschlafen und sich beim Aufwachen schon auf hoher See zu befinden. Somit war er mehr oder minder ein blinder Passagier und wurde für Aufräumarbeiten als Hilfskraft missbraucht; wenigstens wurde er dafür umsonst verpflegt.
Immer noch müde schlurfte er über das Deck und sah das Meer vorwurfsvoll an. Seekrank...
Im Augenwinkel fielen ihm ein paar Dinge auf, die dort nicht hingehörten. Verwirrt drehte er sich hin und rannte an die Reling, sah weit entfernt die Schiffe der Zahra. Wurden sie etwa angegriffen? Beinahe stolperte er beim Losrennen und rannte in die Kapitänskajüte. „Kanchô! Alarm!“, schrie er panisch. „Zahra! Sie haben die Kriegsflaggen gehisst!“
Frau Kapitän antwortete nicht, sie lag schlafend über ihrem Schreibtisch und blickte den Schreienden aus einem Auge an, während sie langsam begann sich zu strecken.
„Zahra, eh?“, fragte sie.
„Hai, Kanchô Amaya!“
Sie nickte. Immer diese Förmlichkeiten... „Wie nah?“
Er dachte einen Moment lang nach. „In Sichtweite.“
Sie nickte abermals. „Schon irgendwer wach?“
Aus irgendeinem Grunde hatten die Yoni keine Nachtwachen aufgestellt, das taten sie nie, sie rechneten nicht damit, dass die Feinde nachts wach blieben. Das wäre gegen die Natur.
„Nun ja...“, sagte Tsuyoshi. „Wir beide sind wach.“
Sie sank zusammen, soweit das aus ihrer Haltung noch möglich war, und quälte sich dann in eine aufrechte Position, rückte ihre Uniform zurecht. Uniform war noch eine schmeichelnde Bezeichnung, bei den Yoni trugen die Soldaten das, was man in den anderen Ländern wohl berechtigterweise als blauen Bademantel bezeichnet hätte. Den Kapitän konnte nur durch ein hervorstechendes Merkmal identifiziert werden, sein Gesicht. Alles andere, wie Orden und lustig bunte Hüte wurden vom hiesigen Militär als Schnickschnack abgetan, möglicherweise zurecht.
Amaya stand auf. „Wir sollten wohl Alarm schlagen und die anderen wecken. Stell dir vor wir sinken und keiner kriegt´s mit.“
Tsuyoshi war leicht verwirrt. Er hatte erwartet, dass die Soldaten bei Feindkontakt alle aufspringen, sich bewaffnen und losstürmen, die Realität schien jedoch etwas anders auszusehen als die Geschichten aus Büchern... die Yoni hatten keinerlei Kampferfahrung, sie waren ein Volk von Bauern.

Ruben untersuchte mit seinem Fernrohr derweil weiter alles im Sichtbereich. Sie waren auf dem offenen Meer, und bis auf eine kleine Logger, einem schnellen Dreimaster, der sich wohl in dieses Gebiet verirrt hatte und weit entfernt kreuzte, war nichts zu erkennen. Hervorragend, die Yoni griffen nur von einer Seite an; die Mannschaft der Logger würde ihr Schiff wohl klugerweise aus diesem Gefecht fernhalten. Schien, als würde es gar nicht mal so schlecht um diese Flotte des Kaisers stehen, die auf planlose Frontalangriffe spezialisiert war und hier ein schönes Ziel dafür fand.

„Hey... aufwachen...“, murmelte Amaya halbherzig und gähnte herzhaft, während sie hinunter in den Mannschaftsraum stolperte. Tsuyoshi folgte nervös.
„Was´n los?“, fragte Ai, die Quartiermeisterin auf diesem Schiff. Sie war nicht aufgewacht, sondern hatte wach dagelegen, bis Amaya sie aus ihren Gedanken geweckt hatte.
„Wir werden, äh... angegriffen“, sagte Amaya. Tsuyoshi sah perplex drein, was war das denn für eine Art die Crew zum Kampf aufzurufen? Gab es hier denn keine Disziplin?
„Oh ne... nicht jetzt...“, maulte Ai und schob trotz ihres eigenen Protestes die Bettdecke zur Seite. Dies war einer der vielen taktischen Vorteile der Yoni, sie hatten auf ihren Schiffen Betten anstelle von Hängematten. Ai erhob sich aus ihrem Bett, sah sich schlaftrunken um, griff nach der Alarmglocke, verfehlte und klatschte auf den Boden.
„Booh...“, meckerte sie, quälte sich auf und schlug gegen die Glocke, die laut schallte und die meisten hier unten aufweckte.
Die erste Offizierin, die mit den normalen Soldaten hier unten pennte, sprang auf und ging halbwegs aufrecht zum Kapitän, tat so als würde sie salutieren und fragte, was denn passiert sei.
„Moin Sakura“, grüßte Amaya. „Wir werden angegriffen; gib mal Meldung an die anderen Schiffe. Wir sollten vielleicht abdrehen und fliehen...“
Tsuyoshi hielt es nicht mehr aus; das sollte die glorreiche Flotte sein?!
„Krieg!“, schrie er. „Wir werden angegriffen, alle auf Kampfstationen!“
Die Mannschaft sah ihn vorwurfsvoll an, warum schrie der Kerl nur so laut, und was hatte ein Mann überhaupt in den Frauenquartieren zu suchen...
Offizier Sakura ging an Deck und schoss ein paar Kanonenkugeln ab, um die anderen Crews zu wecken, Ai hingegen setzte sich erst einmal und zog ihre Schuhe, ein Paar einfache militärische Holzschlappen, an.
Amaya ging frühstücken.

„Sie schießen!“, schrie Ruben, als er die Rauchwolken der feindlichen Kanonen sah. „Sie schießen auf uns!“
„Auf diese Entfernung?“, rief Majestro erstaunt. Die Feindflotte war viel zu weit entfernt, um treffen zu können. Wollten sie die kaiserliche Flotte etwa verschrecken? Nicht mit mir, dachte sich der Großkapitän.
„Feuert einige Warnschüsse in ihre Richtung!“, schrie Majestro. Sofort wurden die Kanonen in Position gebracht und es knallte. Dante hielt sich die Ohren zu und kauerte sich zusammen. Dieser Lärm war einfach schrecklich.

Sakura sah verwirrt in Richtung der angreifenden Flotten. Warum diese wohl feuerten? Ein Weckruf konnte es nicht sein, der überraschende Angreifer aus der Dunkelheit ist in der Regel schon wach.
Die Mannschaften auf den anderen Schiffen der Yoni kamen langsam an Deck. Amaya und Ai, letztere hatte ebenfalls begonnen zu frühstücken, mussten ihr morgendliches Ritual unterbrechen, da es langsam gefährlich wurde. Tsuyoshi rannte hysterisch umher und versuchte irgendwelche nützlichen Dinge zu tun, indem er die Kanonen hin und her schob.
Kurzum, niemand auf den sechs Korvetten wusste, was zu tun war. Zu ihrer Verteidigung muss gesagt werden, dass diese Flotte noch nie in ein Gefecht verwickelt worden war, bisher waren die Seeleute nur heiter im Kreise patrouilliert.

Majestro sah stolz der angreifenden Flotte entgegen. Sie hatten das Feuer eingestellt und in seiner Phantasiewelt waren nun sie diejenigen, die er eingeschüchtert hatte. Es konnte gar nicht besser laufen, in wenigen Minuten würden die Feinde in Feuerreichweite sein. Er plante die eine oder andere Korvette zu entern, sie würden sich gewiss gut als Bombenboote machen. Hin und wieder einfach zu rammen war eine weitere Taktik der kaiserlichen Armada, oder genau genommen eine Folge mangelnder Navigationsfähigkeiten, die dann schlicht als Taktik bezeichnet wurde.
Vermutlich hatten beide Armeen ihre skurrilen Eigenheiten.

Die Schiffe preschten weiter aufeinander zu.
Die kaiserlichen Soldaten starrten den vermeintlichen, tatsächlich aber unfreiwilligen Angreifern entgegen, alle Mann waren auf ihren Positionen und kampfbereit, willig ihr Leben in dieser Schlacht zu lassen. Zumindest ein Teil von ihnen... ein paar andere ruderten bereits in Rettungsbooten fort.
Die Yoni waren derweil größtenteils in Position, einige begannen schlaftrunken damit ihre Kanonen zu laden, bis eine Sirene vom Flagschiff ertönte, die ihnen durchaus gelegen kam. Fluchtbefehl. Die Steuermänner drehten sofort bei, um einen schnellen Fluchtkurs einzuschlagen.
Nun trat fatalerweise Dantes Planänderung in Kraft, die er, hätte er die Flucht erahnt, nie hätte stattfinden lassen. Statt zu verfolgen drehten sich die kaiserlichen Schiffe, ausgenommen des Flagschiffes, um circa fünfundvierzig Grad, aus dieser Position feuerten sie eine volle Breitseite in die Segel der feindlichen Flotte, sodass die Yonischiffe nicht nur den Großteil der Segel, sondern auch einige Masten verloren. Keine Möglichkeit zum Beschleunigen blieb. Dante hatte erwartet, dass die Yoni ebenfalls in die Segel der Feinde feuern, und somit beide Flotten manövrierunfähig im Meer treiben; es hätte somit keine weitere Schlacht geben können und er wäre fein raus gewesen. Leider dachten die Yoni gar nicht daran mit Kanonen zu attackieren, was seinen Plan zu Fall brachte. Sein Versuch eine Schlacht zu verhindern war gleich ein doppelter Rückschlag.
Nachdenklich und mit verschränkten Armen stand Amaya an Deck und versuchte die an ihrem Kopf vorbeisausenden Kanonenkugeln zu ignorieren. Eine Taktik musste her. Möglichst schnell.
„Rettungsboote?“, fragte sie an Ai gewandt, die sich hinter einem Holzfass versteckte.
„Habe nie welche gekauft“, sagte die nur.
Die Steuermänner drehten spaßeshalber noch ein wenig an den Rudern, obwohl sie durch weitestgehend fehlende Segel kein Stück mehr manövrieren konnten. Einige Soldaten gingen achselzuckend wieder unter Deck.
„Kapitulation“, schlug Amaya vor.
„Keine weiße Flagge“, bedauerte Ai.
„Nehmen wir halt Handtücher.“
„Kein Fahnenmast.“
Amaya schüttelte sachte den Kopf, sie hätte wirklich ein wenig essentielle Ausrüstung kaufen sollen anstatt das Budget für Luxusgüter auszugeben. Doch wer hätte schon erwartet im Krieg auf den Feind zu treffen...
„Hach je...“, flüsterte sie ein wenig hilflos. Die feindlichen Schiffe steuerten wieder direkt auf sie zu, vermutlich um zu einem Entermanöver anzusetzen, was in Anbetracht der Lage kein größeres Problem darstellen sollte.
Die Kommandantin der Yoni-Flotte versuchte den Kapitänen der anderen Schiffe ein paar Zeichen zu geben, indem sie mit zwei Flaggen Buchstaben eines Signalalphabets vortanzte, das sie wohl gerade erst erfunden hatte.
Nun, sollten sie wohl gleich geentert werden. Amaya ging auf die Spitze ihres Schiffes, zumindest würde sie einen höflichen Empfang bereiten können. Ai folgte mitsamt ihrer Deckung in Form eines Fasses, Sakura gesellte sich zu ihrer Anführerin.
Nur Tsuyoshi, der einzige Nichtsoldat, bewahrte noch ein wenig militärisches Gespür und rollte eine der Kanonen so schnell er konnte zur Spitze des Schiffes, um von dort aus ein Loch in den Bug der Feinde zu schießen. Leider rollte er das Geschütz ein wenig zu schnell und es donnerte mit Karacho durch die Reling, um dann elegant ins Meer zu platschen. Der Handwerker sah ihr trauernd nach und dann den Feindschiffen entgegen. Sie sollten langsam abbremsen, so frontal wie sie kamen.

„Schneller!“, schrie Majestro. „Gleich haben wir sie!“
Auch er stand auf dem vorderen Teil seines Schiffes. Derweil konnte er einer feindlichen Kapitänsdame entgegen sehen, die ihm freundlich zuwinkte. Das würde ihn nicht aufhalten.
„Sir“, meldete sich ein Soldat namens Miguel. „Das Enterkommando ist bereit.“
Majestro nickte zufrieden.
Dann prallte die Galleja Grande mit einer Korvette zusammen, beide splitterten, standen schief und begannen zu sinken. Majestro hob eine Augenbraue, als er durch die Luft geschleudert wurde und kurz darauf beinahe auf einige seiner Soldaten fiel, die geistesgegenwärtig genug waren auszuweichen, jedoch nicht geistesgegenwärtig genug ihn aufzufangen. Der Großkapitän durchstieß das Holz und fand sich in der Kombüse wieder, wo Juan gerade ein wenig genervt Kartoffeln schälte.
Miguel zuckte mit den Schultern, zog den Säbel und rannte nach vorn, sprang ab, knapp an der feindlichen Korvette vorbei und ins Wasser. Zwanzig Mann seiner Truppe hechteten ihm hinterher, einige andere blieben unschlüssig stehen und wurden kurz darauf von einer weiteren Erschütterung herumgeschleudert.
Nun begann der Teil der Schlacht, den man wohl kurzum als unbeschreibliches Chaos bezeichnen könnte. Hier und da feuerte eine Kanone, rammte ein Schiff ein anderes, sank beinahe oder fing Feuer, das es zu löschen galt, die Yoni brachen in Panik aus und warfen mit Alltagsgegenständen wie Zahnseide nach den Feinden, die kaiserliche Armee griff ungeschickt ruhmreich an oder floh, Dante und Sarita hatten ein schönes Fass gefunden und ruderten darin fort.
Dies ging solange weiter, bis sich alle Schiffe verkeilt hatten und irgendwo zwischen Sinken und Segeln auf der Wasseroberfläche hangen, ein Teil der Soldaten schwamm in der Nähe auf Holzresten umher.
Die Yoni begriffen langsam, dass sie sich in einem Gefecht befanden – ihr angeborener Kampfgeist wurde geweckt. Tsuyoshi rannte kreischend vor Antonio fort, Sakura schob eine Kanone vor sich her und rammte damit die Feinde von Bord, Ai kletterte am Mast hoch, sprang auf einen der Kaiserlichen und nahm ihm die Pistole ab, feuerte dann wild in die Luft. Amaya, die als Kapitän eigentlich Befehle geben sollte, hatte sich bewaffnet und enterte im Alleingang die Galleja Grande.
Ruben sah von seinem Ausguck auf das Chaos hinab, während er ähnlich wie ein Fußballkommentator herumschrie und mit Kleinkram nach den Yoni warf, bis schließlich Amaya zu ihm hoch kraxelte und ihn mit einer Bratpfanne aus dem Ausguck schlug. Mitsamt Fernrohr fiel er hinab und landete weich auf Majestro, der derweil wieder an Deck gekrochen war.
Juan kam mit einem Eimer auf den Rücken geschnürt an Deck, schmiss mit heißen Kartoffeln nach den Yoni und verbrühte einige andere mit siedendem Kochwasser. Kühlung versprach das Meer, in das jene sprangen.
„Sag mir, dass ich genial bin“, lachte Dante, darüber erfreut dem Gefecht entkommen zu sein.
„Im Ansatz...“, meinte Sarita skeptisch und blickte sich das Spektakel an.
Miguel hatte es derweil tatsächlich geschafft über ein Loch in der Wand des feindlichen Schiffes an Bord zu klettern. Er war im Speiseraum gelandet, eine Essensschlacht folgte.
„Sag mal, warum genau veranstaltet der Kaiser eigentlich dauernd solche Manöver?“, fragte Dante kopfschüttelnd und sah sich das eher unterhaltsame Gefecht an.
„Tradition“, meinte Sarita. Natürlich gab es noch einige weitere, aber allgemein unbekannte Gründe. „Ich frage mich langsam, warum überhaupt noch gegen die Yoni gekämpft wird, die haben doch sowieso nichts, was wir nicht auch hätten.“
Dante nickte. Er sah etwas enttäuscht aufs Meer hinaus und erschrak. Eine Logger raste direkt auf das im Meer treibende Fass zu. Dante sah dem Schiff skeptisch entgegen und tickte Sarita auf die Schulter. Einen Knall später war das Fass zersplittert und die beiden Zahra schwammen durchgeschüttelt und weniger erfreut im Meer.
Das Schiff wendete jedoch kurz darauf und die Segel wurden eingezogen, es hielt in der Nähe des Unfallortes. Ein Mann in Mönchskutte winkte den beiden zu.
„Tut uns Leid, war gewiss nicht unsere Absicht. Kommt ruhig an Bord und trocknet euch ab.“
Dante sah ihn an, als hätte der Mönch ihn darum gebeten eine Wand hoch zu laufen, was er eigentlich auch getan hatte, denn ohne weiteres kann man aus dem Meer nicht auf ein Schiff klettern.
Dem Mönch schien dies nach einiger Zeit auch einzuleuchten und er warf eine Strickleiter hinunter. Nachdem die beiden an Bord waren, setzte das Schiff wieder Segel, um weitere Leute aufzusammeln. Wozu? Wer weiß...
Tsuyoshi, der immer noch von Antonio verfolgt wurde, sah keinen anderen Ausweg mehr und sprang von Bord, er hoffte schnell genug schwimmen zu können. Antonio folgte ohne mit der Wimper zu zucken.
Amaya, die weiter mit einer Bratpfanne Soldaten verdroschen hatte, traf schließlich auf Juan, der einige Kartoffeln nach ihr warf, die sie jedoch wie eine Tennisspielerin zurückschleuderte. Juan wurde von Bord geschossen. Ein stattlicher Soldat nahm sie hoch und warf sie hinterher.
Ai rannte noch immer mit der Pistole herum, die zwar nicht mehr geladen war, sich aber durchaus immer noch gut zum Verschrecken eignete. Sie fiel ebenso wie Ruben ins Meer, als sich die Galleja Grande plötzlich auf die Seite drehte und dabei zerriss, ohne endgültig auseinander zu fallen oder aus der verhedderten Flotte auszubrechen.
Sakura, die ihre Kanone noch immer als Rammbock nutzte, stolperte, krallte sich am Geschütz fest und rollte darauf durch die zerberstende Reling ins Meer.
Miguel hatte es geschafft sich bis aufs Deck des feindlichen Schiffes durchzukämpfen und griff dort nach einem herabhängenden Tau, um im Stile Tarzans auf ein anderes Feindschiff zu wechseln. Leider klatschte er unterwegs gegen das Segel einer vorbeifahrenden Logger und fiel an Deck jenes Schiffes.
Majestro hielt seinen Säbel stolz in die Luft und schrie einige Parolen, blies zum Angriff. Zwei stattliche Yoni nahmen ihn hoch und warfen ihn über Bord.
Die Logger unbekannter Herkunft beendete ihre Sammeltour schließlich und alle Segel des Schiffes wurden gehisst, mit hoher Geschwindigkeit, die man von einem dermaßen kleinen Schiff mit dermaßen großen Segeln erwartete, rauschte sie davon, das Schlachtfeld hinter sich lassend.
Die Sonne ging auf.

Der Kampf dauerte noch einige Zeit an, bis die Crews schließlich dermaßen erschöpft waren, dass sie die Schlacht für unentschieden erklärten und die über Bord gegangenen Männer und Frauen wieder an Deck holten, was den halben Nachmittag in Anspruch nahm. Es gab keinen Grund weiter zu kämpfen, der Großkapitän der Zahra war verschwunden und die Yoni-Admirälin war zu beschäftigt damit ihr Zimmer aufzuräumen. Die verkeilten Schiffe, die aus irgendeinem Grund einfach nicht sanken, trieben einige Zeit lang über das Meer und erreichten schließlich die ferne Küste eines neutralen Landes. Von dort aus reisten die Soldaten wieder heim.

Doch das Schicksal derer, die von der Logger eingesammelt worden waren, lässt sich nur schwerlich mit so wenigen Worten zusammenfassen.
Im Gegenteil... es bietet genügend Stoff für eine ganze Legende.

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Khaakalptraum
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Post by Khaakalptraum » Sun, 3. Jul 05, 03:05

Nicht schlecht, nicht schlecht :thumb_up:
Gewalt ist keine Lösung... aber ein gutes Argument!

Guest

Post by Guest » Thu, 13. Oct 05, 01:30

Lang lang ist´s her ...
Doch was anfängt, muss auch weitergehen.
Das haben Endlosgeschichten so an sich.

Kapitel II.
Die zweiköpfige Entercrew

Die Sonne war aufgegangen und der frühe Vormittag begann. Die Logger fuhr weiterhin mit vollem Wind in den Segeln gen Osten. Das Schiff war nicht gerade groß, im Gegenteil. Der Rumpf beherbergte lediglich zwei Decks, die teils als Lager, teils als Unterkunft Verwendung fanden, jedoch ohnehin fast komplett von Balken und Gerüsten, die das Schiff zusammen hielten, versperrt waren.
Auf dem ersten Unterdeck gab es links und rechts je fünf Klappen, durch die man im Gefecht Kanonen abfeuern würde, wenn denn Kanonen vorhanden wären. Das einzige Geschütz stand geladen an Deck und zielte, grob gesagt, nach vorn, während es gemächlich zwischen den Masten hin- und herrollte und Rost ansetzte.
Die Masten ragten für eine Logger überraschend hoch, die Segel waren unproportional weit, man mochte wetten, dass diese Konstruktion jeden Moment umfällt oder durch den Fahrtwind nach vorn kippt, auch wenn sich das Schiff beharrlich dagegen zu wehren schien.
Ein weiteres Merkmal war wohl die kleine Hütte, die in der Nähe des Hecks stand. Sie war eindeutig im Nachhinein aufgebaut worden, der Kapitän hatte wohl sehr skurrile Ansichten, was Design und Architektur anging.
Ein weiteres Detail unterschied diese Logger von anderen Schiffen. „Asclepia“ stand in großen verrosteten Metallbuchstaben an die vordere linke Seite geschrieben. Dies mochte wohl der Name des Schiffes sein, zumindest sprach nichts dagegen.
Das letzte auffallende Merkmal war wohl, dass elf Personen gefesselt auf dem Deck saßen und davon größtenteils nur wenig angetan schienen.
Nicht gefesselt war der beinahe kahlköpfige Mönch in seiner Kutte, ebenso wenig wie die junge Dame in langem weiten grünen Mantel, der von Schulter bis Fuß alles verdeckte. Ihre Hände lagen gemächlich in den Taschen und ein rotes Stirnband hielt ihr langes blondes Haar aus dem schmal wirkenden Gesicht; dürr war sie aber nicht, ganz gewiss nicht. Die beiden standen bei den Gefesselten wie Wachen, allerdings schienen sie nicht wirklich gefährlich.
Jemand, der wohl der Kapitän des Schiffes sein mochte, stand vor ihnen. Schwarze feine Lederschuhe eines Gentlemans, weiße Hose, weißes Hemd in sie hineingestopft, ein Gürtel, der wie aus purem glänzenden Eisen wirkte hielt das zusammen, dazu trug er noch einen langen schwarzen Mantel, den er sich relativ lässig über die Schultern geworfen hatte, bei der nächsten Windböe wäre er wohl fort. Er schien etwas bleich, ohne schwach zu wirken, als hätte er von Natur aus einen unnatürlich hellen Farbton.
Das kurze schwarze Haar des jungen, dennoch gut zwei Meter großen Mannes flatterte leicht im Wind. Zumindest wusste er, wie man sich gut in Szene setzt. Die Gefesselten sahen ihn teils vorwurfsvoll aus halb offenen Augen an, teils schienen sie bereit auf ihn loszugehen, Dante hatte sich hingelegt und war beinahe eingeschlafen. Bis auf ihn warteten alle auf die Worte des vermeintlichen Kapitäns, der wohl noch nicht ganz recht wusste, was er dazu sagen sollte. Vielleicht hätte er einfach gehen und sich rasieren sollen, es wäre an der Zeit gewesen.
„Hi“, brachte er schließlich hervor und erntete eine extragroße Portion Erstaunen – man hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit ‚Hi.’. „Die Dame heißt Sandra Sonnenfeld, sie ist unsere Navigatorin, das dort drüben ist der Schiffsgeistliche Karl-Heinz Klostermann und ich bin Kaeptn Siegfried Wolkenwache.“
„Großkapitän Majestro“, stellte sich der Zahra skeptisch vor. „Ich bin einer der führenden Admiräle der Flotte des heiligen Kaiserreiches, und sie lassen mich hier gefesselt auf dem Boden liegen. Wissen sie überhaupt, was sie da tun?“
„Ich stelle eine neue Crew zusammen“, lachte Siegfried.
„Aus Gefangenen?“, wunderte sich Dante ansatzweise gähnend.
„Ich würde nicht sagen, dass ihr Gefangene seid“, sagte Siegfried. „Eher ... zeitweise außer Gefecht Gesetzte. Ich werde euch losbinden lassen, wenn ihr euch bereit erklärt der Mannschaft beizutreten.“
„Was ist denn mit der alten Mannschaft passiert?“, fragte Miguel. „Meuterei?“
„Nein, die alte Mannschaft steht verdattert im Hafen von Saarmarsch und sucht ihr Schiff“, grinste Siegfried.
„Der Kutter ist geklaut?“, rief Vicente erbost.
„Nicht geklaut, ähm ... zeitweilig geliehen ... und ein wenig umgebaut.“
„Das ist dein Ende, Pirat“, fauchte Majestro und versuchte, irgendwie an seinen Säbel zu kommen, was kläglich misslang.
„Ich bin kein Pirat, sondern ... freier Händler“, korrigierte Siegfried.
Skeptische Blicke.
„Sagen wir segelndes Volk, aye?“, fragte er lächelnd.
„Und warum genau sollten wir deine Mannschaft werden?“, fragte Dante.
„Das ist eine gute Frage. Ganz einfach ...“, erwiderte Siegfried und verstummte.
„Nun, ihr seid eine Mannschaft und er ist ein Kapitän“, sagte Sandra. „Passt doch.“
Dante dachte einen Moment lang nach. „Verpflegung kostenfrei?“
„Und umsonst“, bestätigte Sandra.
„Muss ich das Deck schrubben?“, fragte er weiter.
„Wir warten für gewöhnlich, bis es regnet“, antwortete Karl-Heinz.
„Halleluja, hier bin ich, Kaeptn!“, rief Dante grinsend.
„Dante Ventura!“, schrie Majestro. „Das ist kein Verhalten für einen Soldaten!“
Dante zuckte zufrieden mit den Schultern und lehnte sich wieder zurück. „Nun, Juan?“
„Aber sowas von“, bestätigte dieser. Die beiden hatten da ganz ähnliche Ansichten, waren schon lange Freunde und würden auch diese Reise gemeinsam bestreiten, auch wenn sie noch nicht genau wussten, worum es denn überhaupt ging.
Wegen dieser Angelegenheit mischte sich nun die Yoni-Kapitänin Amaya ins Gespräch ein, die bis vor wenigen Momenten noch recht unzufrieden gewesen war. „Sag, Siegfried, was genau planst du eigentlich? Suchen wir einen Schatz?“
„Nicht ganz“, sagte Siegfried. „Wir ... nun ...“ Er schien kurz nachzudenken. „Nun, wir haben alle unsere eigenen Ziele und Vorstellungen. Ich versichere euch, dass ich euch nicht in Gefahr bringen werde. Reicht das?“
„Wenn wir eure Mannschaft sein sollen,“, warf Ruben ein, „dann müssen wir wissen, was unsere Aufgabe ist, wo wir hinsegeln und was uns dort erwartet.“
Siegfried fasste sich mit der rechten Hand ans Kinn und stütze die linke in die Hüfte.
„Ja, womöglich habt ihr recht“, gestand er ein und grübelte ein wenig. „Wir drei – Karl, Sandra und ich, sind Gesandte eines großen Reiches. Jeder von euch kennt es, niemand wird darauf kommen. Es ist auch egal. Seine Hoheit sah, wie die Yoni und die Zahra grundlos gegeneinander kämpften und das Böse auf den Meeren um sich greift, der Hass sich
ausbreitet. Im Namen des Friedens wurden wir gesandt, die Schlachten zu beenden und die gesegnete Ruhe unter den Völkern wiederherzustellen; denn schließlich will unser Herr nicht, dass sich der Konflikt ausbreitet, das könnte auch erhebliche Nachteile für uns bedeuten. Eine funktionierende Mannschaft, aus den Soldaten der größten Feinde zusammengestellt, kann diese Aufgabe bewältigen, da sie ein großartiges Zeichen setzt. Und wo hätte ich euch herbekommen sollen, wenn nicht direkt vom Schlachtfeld?“
„Und welcher König sendet euch?“, fragte Ruben skeptisch.
„Ihr wisst jetzt genug“, warf Siegfried ein. „Weitere Details werdet ihr erfahren, wenn es an der Zeit ist. Hoffentlich kommt es gar nicht erst so weit.“
„Euer König ist ein ziemlicher Idiot,“, sagte Majestro, „wenn er nur drei Mann für so eine große Mission sendet.“
„Euer Kaiser ist ein ziemlicher Idiot“, widersprach Siegfried. „Denn er schickt die schönsten Schiffe mit den tollsten Mannen in die Schlacht und muss damit rechnen, keinen seiner Soldaten jemals wiederzusehen.“
Majestro zischte nur. „Elender ...“
Siegfried lächelte nur und nickte.
„Wenn ich das mal so sagen dürfte“, warf Amaya ein, „sind die Yoni nicht wirklich an einem Krieg interessiert, im Gegenteil, wir hassen es zu kämpfen. Wir können es; aber wir hassen es. Ai, Sakura, Tsuyoshi, ab sofort ist dieser Mann euer neuer Kapitän.“
„Dafür“, bestätigte Ai.
„Immer doch“, stimmte Sakura ein.
„Äh ... was?“, bejahte Tsuyoshi.
Die Bevölkerung der Yoni hatte schon lange Zeit unter den andauernden Attacken gelitten. Niemand wusste mehr, warum dieser Kampf überhaupt ausgebrochen war, es war an der Zeit ihn zu beenden.
„Ich halte euch für einen Idioten,“, sagte Miguel kalt, „aber es wird mir eine Ehre sein euch zu dienen. Mir ist selten jemand mit so edlen Zielen untergekommen ... ich glaube nur nicht, dass wir Erfolg haben werden.“
„Hoffe es“, sagte Siegfried lächelnd. „Wenn wir nicht schnell genug sind, ist alles verloren.“
„Wie meinen?“, wunderte sich Miguel.
„Ah, nichts“, lachte Siegfried. „Wie sieht´s mit den anderen aus?“
„Nun ... ich werde versuchen zu helfen“, sagte Ruben leicht unentschlossen. Eigentlich hatte er etwas gegen jede Art von Piraten und war ein Soldat, aber das eben nur offiziell.
„Bin dabei, keine Frage“, stimmte Sarita ein.
Schien ganz so, als würden Moral und Loyalität der Kaiserlichen zu wünschen übrig lassen. Nur Majestro und Antonio Vicente hatten sich Siegfried noch nicht angeschlossen, und sie hatten es auch nicht vor. Großkapitän und erster Offizier, beide würden dem Kaiser treu bleiben und ihm bis in den Tod folgen.
„Na?“, fragte Siegfried und ging auf die beiden zu.
„Bin dabei“, sagte Vicente.
Majestro starrte ihn aus großen Augen an, der erste Offizier zuckte nur mit den Schultern.
„Hör mal her“, zischte der Großkapitän Siegfried an. „Sobald ich diese Fesseln los bin, werde ich dich töten und mit diesem Kutter nach Hause fahren.“
Siegfrieds Augen fielen enttäuscht halb zu. Er zog einen Dolch aus seinem Mantel. „Na dann ...“, flüsterte er. „Ich werde für den Kaiser sterben!“, schrie Majestro und kniff die Augen zu.
Schlitz.
Die Fesseln waren auf. Siegfried drückte ihm den Dolch in die Hand.
Majestro sah ihn verwirrt an.
„Du wolltest mich umbringen, glaube ich“, sagte Siegfried schulterzuckend.
Majestro ließ die Waffe fallen und wich über den Fußboden zurück. Was zum ...
Siegfried lächelte, hob den Dolch auf und löste nun auch die anderen Fesseln. Wie er sich gedacht hatte ...
„Also, Leute, nicht so verkrampft“, rief er erfreut und hatte allen Grund dazu. „Ihr segelt jetzt unter Wolkenwaches Kommando. Wir haben Kurs auf eine Insel gesetzt, ab der vor kurzer Zeit ein Transportschiff versenkt worden ist. Dort kriegen wir unsere Vorräte her. Ich weiß, dass die Regierung der Yoni diesen Krieg nur führt, um sich zu verteidigen. Sobald wir den Aggressor ausgeschaltet haben, sollten die Kampfhandlungen enden.“
„Ihr wollt doch nicht etwa ...!“, keuchte Majestro.
„Oh doch“, lachte Siegfried. „Wir machen einen kleinen Umweg nach Osten, besorgen uns die passende Ausrüstung und Vorräte in den Schiffswracks, an denen die Zahra nicht unschuldig sind, dann machen wir kehrt und stürmen den Kaiserpalast auf direktem Wege; Tür eintreten. Ich habe schon versucht eine Audienz bei ihm zu bekommen, der Alte ist sehr dickköpfig, also werden wir eine kleine Invasion vorführen und ihn zur Rede stellen.“
Die Crew schien relativ überrascht. Ein merkwürdiger Pirat, mochten sich einige gedacht haben, ein zielstrebiger Held, mochten die anderen meinen. Er selbst wusste, was er wirklich war; ein merkwürdiger Held und zielstrebiger Pirat. Zumindest vorerst.
„Ich werde den Kaiser beschützen“, fauchte Majestro.
„Dann solltest du mich unterstützen“, schlug Siegfried vor. „Weißt du eigentlich, wie viele Agenten die Yoni in eurer Hauptstadt haben? Wenn´s denen zu bunt wird ist der Kaiser weg vom Fenster und das ganze Zahra-Reich am Boden. Das machen sie nur noch nicht, weil sie das folgende Chaos und Leid nicht verantworten wollen.“
Ob das alles stimmte war eine andere Sache ...
„Na dann, auf zu neuen Ufern my Kaeptn“, rief Dante abenteuerlustig.
„Aye“, lachte der, von Dantes Persönlichkeit angetan. Es war schon eine wahre Freude, wie glatt alles ging. Siegfried hätte gewettet irgendwen über die Planke gehen lassen zu müssen, doch tatsächlich waren die meisten ohne Widerstand übergelaufen. Wenn der Rest der Bevölkerung das ähnlich sah würde das alles ein Spaziergang werden.
„Dann teilen wir euch mal auf ...“, sagte er und dachte kurz nach. „Ruben, du stellst dich in den Ausguck, was du da machst ist deine Sache. Sarita, du wirst Pfeilbotin; siehst schon so aus, dann muss ich dir keine Uniform kaufen. Juan, Küche; die Vorräte sind begrenzt und recht einseitig. Mach das Beste aus zwei Zentnern Kartoffeln und zwei Pfund Zwiebeln. Sakura, Ai, Amaya, Sandra, ihr werdet euch um die Segel kümmern. Tsuyoshi, du bist unser Zimmermann; falls du mal Hilfe brauchst greif dir irgendwen aus der Crew, die können alle ordentlich was tragen. Dante, Antonio, Miguel, Majestro, ihr vier repräsentiert das bis an die Zähne bewaffnete Enterkommando, Dante ist Gruppenführer. Waffen besorgen wir beizeiten. Karl-Heinz, du bist Kanonier und Seelsorger. Ich, zumal ich mir aussuchen kann, was ich sein will, werde Steuermann. Irgendwelche Einwände?“
„Ich halte das für unzumutbar“, beschwerte sich Majestro.
„Gut, dann kann´s ja losgehen“, lachte Siegfried. „Alle auf Position, bereitmachen stundenlang über die langweiligen Weiten des Ozeans zu ziehen!“ Er sah auf sein Handgelenk. Dort, wo andere eine große und schwere technische Uhr trugen, hatte er einen Kompass umgebunden.
„Joah, wir sind auf Kurs“, sagte er, als gerade alle aufsprangen, um loszurennen. „Hm ... dann machen wir erst mal Pause, würde ich sagen. Schaut euch auf dem Schiff um, viel Spaß. Wer was mitgehen lässt geht über die Planke.“
Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging in die kleine Holzhütte, um sich etwas auszuruhen. Dante sah sich kurz um, niemand sonst schien in Erwägung zu ziehen sich in irgendeiner Form von der Stelle zu bewegen. Womöglich waren sie alle noch nicht mit solchen Situationen vertraut, gewiss war das alles auch recht skurril. Ohne weiter darüber nachzudenken folgte Dante seinem neuen Kapitän. Sich an Bord dieses Schiffes fortzubewegen brachte gewisse Probleme mit sich; mal abgesehen davon, dass der Untergrund relativ brüchig wirkte, waren überall Seile gespannt. Einige führten zu großen Drehtrommeln, andere zum Steuerrad und zum Ruder, manche mochten auch ins Leere laufen. Man konnte zwar noch gut über das Deck spazieren, musste aber auf jeden Fall immer Ausschau nach Stolperfallen halten, wenn man denn nicht vor hatte die Belastbarkeit des Bodens weiter herauszufordern.
Dante steckte seinen Kopf durch die Tür der Holzhütte. Was von außen wie ein Dreckloch wirkte, war von innen wohl eines, jedoch ein äußerst gemütliches, wie es schien. Das einzige Fenster gab den Blick nach vorn frei, unter ihm stand ein langes gemütliches Sofa, das sich wiederum auf einem großen Teppich befand, der zwar nicht den gesamten Fußboden bedeckte, doch zumindest einen Großteil des morschen Holzes verbarg. Gegenüber von Sofa und Fenster waren einige Regale und Schränke aufgebaut worden, in denen allerlei Bücher, Landkarten und Spielzeuge wie etwa Bauklötze standen. In der Ecke war zudem noch ein Tisch mit nur vier Stühlen vorzufinden, einige leere Gläser und verdreckte Teller standen hier noch herum. Quer am Boden lag eine Schlafmatte, in Nähe der Decke baumelte eine Hängematte.
Somit konnte man davon ausgehen, dass dieses kleine Häuschen sowohl Aufenthaltsraum als auch Speisesaal und Schlafkammer darstellte, auf eine sehr eigenartige und unverwechselbare Art und Weise kombiniert.
Es sah aus wie in einer Wohngemeinschaft.
„Na, Chef?“, fragte Dante und trat ein. Siegfried lag lang ausgestreckte auf dem Sofa und hatte durch das Fenster nach draußen zu schauen versucht, allerdings war die Scheibe dermaßen milchig und ohnehin verdreckt, dass man bestenfalls erahnen konnte, ob es gerade Tag oder Nacht war.
„Jo“, sagte Siegfried nur und setzte sich auf. „Was gibt´s?“
„Ich wollte mal fragen, wie lange wir jetzt geradeaus segeln. Ach, und ... kann ich mir einen Schlafplatz suchen oder muss man hier auf irgendetwas acht geben?“
„Kannst machen, was du willst“, sagte Siegfried. „Die See ist ruhig und wir werden hier draußen kaum auf irgendwen treffen. Solange du im Notfall bereit stehst, ist alles in Ordnung. Mal im Ernst, dieser Ozean ist riesig, wir werden heute den ganzen Tag lang nichts erleben und kommen dann heute Nacht in aller Ruhe am Zielort an. Das Meer ist der stillste Ort überhaupt.“
Bumm.
Siegfried sprang auf, rannte zur Tür und starrte hinaus, kam gerade noch rechtzeitig um zu sehen, wie eine Kanonenkugel den vordersten Mast durchbrach, der mit Krachen auf die Seite fiel und die Reling sowie einen guten Teil der Schiffsseite mit einriss. Taue zersprangen, Holz splitterte, die Segel flatterten hinaus auf die See und schwammen schließlich mitsamt dem Masten fort.
„Ich wollte schon immer einen Zweimaster ...“, zischte Siegfried. „Alle auf Position, Kanone bereit!“, schrie er dann. „Ruben, was siehst du?“
Ruben zeigte vom Ausguck aus gen Backbord, das attackierende Schiff war sehr nahe. Siegfried rannte an das Geländer und sah hinüber. Schien so, als unterlägen sie dem massiven Angriff eines Floßes. Es war kein normales Floß, es stand eine Bordkanone darauf, außerdem war der Jolly Roger an einem Besenstiel gehisst.
Siegfried starrte die feindliche Besatzung an – zwei exakt identisch aussehende Männer, beide trugen typische Piratenuniformen, je einen weiten Hut und natürlich Säbel. Des Weiteren schienen sie ihren Bartwuchs nicht zu behindern.
Abermals knallte die Kanone, eine Kugel schoss knapp am zweiten Mast vorbei. Damit war der letzte Schuss getan, es schien keine Munition mehr auf dem Floß zu geben.
„Guten Morgen!“, rief einer der Piraten. „Unser Name ist John“, rief der andere. „Und ihr seid unsere Gefangenen. Ergebt euch, die Ascl ... Aslep ... Sclepai ... dieses Schiff ist unser!“
„Asclepia“, korrigierte Sandra. Sie hatte den Namen ausgesucht.
Siegfried starrte einen Moment lang das Floß an. „Karl-Heinz“, forderte er nur ruhig.
Karl-Heinz kam, sah, richtete die Bordkanone aus und ... stellte fest, dass die beiden Johns derweil von ihrem Floß verschwunden waren. Er sah sich kurz um, doch kein John war in Sicht, also feuerte er einfach auf das Floß, das in drei etwa gleichgroße Teile zerfiel, die auseinander drifteten. Der Besenstiel mit dem Jolly Roger blieb weiter aufrecht. Viel gab es da nicht mehr zu versenken, Karl-Heinz ließ von der Kanone ab und sie rollte wie eh und je hin und her.
Siegfried sah sich verwirrt das Floß an – vor einem Moment waren da noch die beiden Männer gewesen, und im Laufe eines Wimpernschlags waren sie wieder verschwunden. Mysteriös. Er sah kurz nach den Seiten, doch auch an Bord dieses Schiffes schienen sie nicht zu sein.
„Hey, hat einer von euch die beiden“, setzte er an und hörte dann auf zu sprechen, als er den vor seinem Hals schwebenden Säbel bemerkte. Ein John hatte ihn gegriffen und quasi in der Mangel, der andere stolzierte umher.
„Da seht ihr´s“, sagte er. „Wir sind schnell. Und dieses Schiff gehört nun uns.“
Die neue Mannschaft, Karl-Heinz und Sandra blieben stumm stehen.
Siegfried grinste auf einmal erleichtert.
„Ich glaube dein Säbel hat eine einseitige Klinge“, stellte er fest, „und die zeigt von mir weg.“
Der John drehte die Klinge. „Idiot“, sagte er. Hätte Siegfried nur geschwiegen.
„Idiot“, sagte Siegfried. Hätte John nur hingeschaut, mit der Klinge war alles bestens gewesen. Mit einem Ellenbogen im Magen zuckte er zurück, Siegfried drehte sich und verpasste ihm mit voller Wucht eine Kopfnuss, sodass beide umfielen. Der andere John, der sich das überrascht ansah, spürte kurz darauf eine Hand auf seiner Schulter und den Lauf einer Pistole – die eigentlich nur Dantes Finger war – im Rücken.
„Zeit zum Aufgeben“, sagte der einstige Soldat, und John warf seinen Säbel zu Boden, ohne noch irgendetwas zu sagen. Viel blieb da auch nicht mehr. Das überraschend schnelle Entermanöver war überraschend schnell wieder vorbei.
Siegfried und John lagen abwesend am Boden und hielten sich die Schädel, Dante ließ von seinem Opfer ab und stieß es ein wenig nach vorn, um einen weiteren direkten Angriff zu vermeiden.
„Also, werter John,“, begann er und beäugte sein Gegenüber skeptisch, „was genau ist der Grund eures Besuches und wer von euch beiden mag die Idee gehabt haben auf einem Stück Karton über die Meere zu segeln?“
„Nun ...“, begann John, sah sich kurz rot werdend um und zielte dann mit einem Revolver auf Dante.
„Daraus schließe ich, dass es mich einen feuchten Kehricht angeht“, folgerte Dante und bleib stehen. Rennen wäre seiner Meinung nach eine ganz schlechte Idee gewesen, denn er hatte allzeit bezweifelt schneller als eine Kugel zu sein. Wenn er schon erschossen werden würde, dann wenigstens mit einem perplexen Blick, jedoch nicht, ohne sich zumindest mit Worten zu wehren.
„Ich möchte ein wenig mit dir rechnen“, sagte er schließlich. John legte nur mit spottendem Blick den Kopf schief – er hatte das Schiff in der Hand.
„Du hast da einen Revolver mit sechs Schuss – wir sind aber weit mehr als sechs. Insofern könntest du zwar einen Teil von uns erschießen, danach würde dich aber der andere Teil massakrieren und an den Bug heften. Demnach solltest du womöglich einfach die Pistole einpacken und uns mitteilen, was euch beide hierher verschlägt. Ihr könnt mir nicht ernsthaft erzählen, dass ihr freiwillig auf einer Tischplatte die Meere bereist ...“
John wartete einen Moment ab, rechnete nach, wie viele Schuss er frei hatte, behielt stets im Auge, dass die Waffe nicht geladen war und kam schließlich zu dem Ergebnis ebenfalls einen friedlichen Kurs einzuschlagen, sofern denn möglich.
Der Revolver verschwand im Gürtel und er ging zwei Schritte auf Dante zu, reichte ihm die Hand und grinste. „Nun denn, werter Kapitän, ich bin geehrt.“
Dante schlug ein. „Der Herr Kapitän liegt übrigens dort drüben auf dem Boden. Also, was gibt´s? Sollen wir euch im nächsten Hafen rauswerfen oder braucht ihr etwas Bestimmtes?“
„Hey!“, mischte sich Sandra ein. „Woher nimmst du dir das Recht an Deck zu bestimmen? Du gehörst zur Crew und da wirst du auch bleiben!“
Dante hob schützend die Hände vor sich und ging gekonnt einen Schritt zurück. „Oh, tut mir Leid, ich dachte nur, wo ich gerade so schön dabei war ...“
„Du bist nicht zum Denken an Bord“, sagte sie kalt.
„Ich glaube nur einer von uns beiden hat dafür gesorgt, dass wir nicht alle mit einem Loch im Kopf enden“, erwähnte Dante noch einmal. „Aber nun, meinetwegen, so übernimm doch das Gespräch.“
„Ts ...“, zischte sie nur und stellte sich nun vor John, blieb einen Moment lang dort stehen und starrte den Piraten an, ohne zu wissen, was denn zu sagen wäre. „Dante, übernimm mal kurz ...“, flüsterte sie errötend und schritt hinüber zur Reling.
„Aber immer doch“, rief der halb euphorisch und ging wieder auf John zu, dem sich hier ein denkbar merkwürdiges Schauspiel bot, das er nicht erwartet hätte, denn bisher war sein Schauspiel immer noch das merkwürdigste gewesen.
„Nun denn ... ähm ... ist das hier immer so?“, fragte er.
„Erst seit zwanzig Minuten“, erklärte Dante. „Die Mannschaft wurde erst kürzlich von dem Kerl da zwangsrekrutiert, wir sind auf direktem Wege ein paar Herrscher zu stürzen, was man in seiner Freizeit nun mal so macht. Und ihr?“
John verstummte kurz und sah in die Runde. Die gesamte Truppe hatte sich hier versammelt und alle starrten schweigend den Schauplatz an, als hätten sie nichts zu sagen oder könnten nicht einmal sprechen. Mancher braucht wohl eine gewisse Eingewöhnungszeit. Alles in allem sahen sie aber dennoch nicht so aus, als würden sie Herrscher stürzen, viel zu zusammengewürfelt schien der bunte Haufen.
„Wir waren einmal Piraten“, sagte John nun und erinnerte sich an den früheren Morgen. „An einer Insel hier in der Nähe liegt das Wrack eines ehemaligen Handelsschiffes der Yoni, das wohl mit allerlei Gütern beladen ist. Wir wollten die Waren bergen, aber dummerweise ist die Handelsflotte der Famatyr angerückt und hat nicht lange gezögert unser Schiff zu versenken. Scheint, als würde sich irgendetwas wirklich Wertvolles in dem Wrack verbergen, anders kann man sich einen derartigen Aufmarsch von Handelsschiffen kaum erklären ...“
„Famatyr ...“, wiederholte Dante leise und wie für sich. Die Famatyr waren eigentlich als friedliche Handelsgesellschaft von Kaufmännern bekannt, die jederzeit, auch im Krieg, zwischen den Inseln umhersegelten und Waren kauften und verkauften, je nachdem, was gebraucht wurde oder im Überschuss vorhanden war; aufgrund dieser äußerst nützlichen Position besaßen sie eine Art Immunität, standen unter niemandes Kommando, man nannte sie auch das freie Volk der Meere, wenn man denn Zeit hatte so viele Worte zu sprechen. Zu hören, dass diese Leute ein Wrack plündern sollten, schien unglaubwürdig; sie würden es nicht plündern, wenn sie nicht einen triftigen Grund dafür hätten.
„Wie viele waren es?“, fragte Dante weiter.
„Zwei Briggs und ein Brummer“, antworte John kurz. Während ersteres wohl kleinere schnellere Schiffe bezeichnete, die eigentlich gar nicht im Repertoire der Famatyr vorkommen sollten, war Brummer die schlichte Bezeichnung für ein ziemlich großes und äußerst unhandliches Handelsschiff.
Dante nickte und sah zu Siegfried, der sich derweil aufgesetzt hatte und sich den Kopf hielt.
„He, Kaeptn, ganz schlechte Nachrichten. Das Wrack, das wir plündern wollten, ist offenbar schon besetzt, da kommen wir unmöglich ran.“
„Ich hab´ schon zugehört“, erwiderte Siegfried und sah hinüber zu einem der Johns. Sein Opfer lag längs am Boden und hatte die Kopfnuss weitaus nicht so gut verkraftet wie er, das würde noch in einigen Stunden nachhallen. „Aber dummerweise müssen wir an das Wrack, daran geht kein Weg vorbei – denn da drin ist etwas, das ich unbedingt haben will.“
Dante nickte, seine Theorie würde wohl zutreffen, da war etwas Wertvolles an Bord. „Und was ist es?“, blieb als einzige Frage.
„Ich weiß es nicht genau,“, sagte Siegfried, „aber solange es irgendetwas anderes als Kartoffeln mit Zwiebeln ist, will ich es sofort auf dem Tisch haben. Wir futtern schon seit Wochen nichts anderes. Nun, gut, seit Tagen, nicht Wochen, aber das ist doch Tierquälerei.“
Dante nickte verständnisvoll, etwas Ordentliches zu beißen war schon immer ein hinreichender Grund für ein Gefecht gewesen, zu allen Epochen und Zeiten.
„Und was wird aus uns?“, fragte der John, der noch stand.
„Euch schmeißen wir im nächsten Hafen raus“, sagte Siegfried. „Bis dahin seid ihr im Enterkommando und dürft frei Haus Kartoffeln und Zwiebeln spachteln. Seid ihr dabei?“
John dachte einen Moment lang nach. Kartoffeln ... das würde bedeuten zur Abwechslung mal wieder irgendetwas zu essen. „Wir sind dabei“, sprach er für die beiden, nahm seinen Kollegen am Arm und schleifte ihn mit unter Deck, wo sie ein Festmahl erwartete – zumindest schien es so, nach all der Zeit. Und damit kehrte an Deck für den Moment wieder Ruhe ein. Immer noch stand eine beachtenswerte Anzahl von frischen Mannschaftsmitgliedern stumm an Bord herum und starrte die Szenerie an. Man mochte meinen sie hätten Eintritt bezahlt.
„Dante“, sagte Siegfried und stand langsam auf. „Das war gar nicht mal schlecht, im Gegenteil, wirklich beeindruckend, wie du mit Feinden umgehst ... wusstest du übrigens, dass ich einen ersten Offizier habe?“
„Nein“, sagte Dante.
„Das solltest du aber wissen – als erster Offizier“, fügte Siegfried hinzu und grinste. Die Aufgabe dieses Amtträgers war wohl im Allgemeinen, zwischen der Mannschaft und dem Kapitän zu vermitteln. Und wem könnte das besser gelingen als einem wortgewandten Schauspieler wie ihm?
„Man lernt nie aus“, sagte Dante grinsend, drehte sich auf der Stelle um und schaute zur Mannschaft. „Also dann, meine Damen und Herren“, gluckste er. „Auf die Plätze, fertig, Pause. Aber seid darauf vorbereitet, dass wir in Kürze auf Personen treffen werden, die uns noch weniger mögen als wir selbst.“

Damit war der Auflauf vorbei, es gab nichts mehr zu sehen und die Mannschaft zog sich an Positionen zurück, erkundete das Schiff oder verfiel schlicht in Gerede über das Wetter, nebenbei erwähnt war es beinahe Mittag und Juan wurde in der Kombüse tätig, einige machten sich neu bekannt und andere redeten mit Altbekannten, nur Majestro hielt sich zurück und beäugte das Geschehen aus sicherer Distanz – er wollte es sich nicht leisten seinen Ruf als Großkapitän zu riskieren, nie würde er mit diesen Piraten kooperieren. Ganz im Gegenteil ... er würde sie an die Famatyr verkaufen ...

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Post by Samuel Creshal » Thu, 13. Oct 05, 10:49

:thumb_up: Wie alle deine Geschichten, echt gut :)

Aber das mit dem falschen Ende der Waffe kommt mir irgendwie bekannt vor :gruebel: :wink:

Guest

Post by Guest » Thu, 13. Oct 05, 10:53

-YS-Creshal wrote:Aber das mit dem falschen Ende der Waffe kommt mir irgendwie bekannt vor :gruebel: :wink:
Wird nicht nur von mir häufig benutzt. :roll:

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Post by Arget » Thu, 13. Oct 05, 21:16

Fran, du bist einsame Weltklasse! Sowas macht dir wirklich keiner nach! :D
Wann gibt's mehr? :roll:

Guest

Post by Guest » Thu, 13. Oct 05, 21:20

Jetzt wird erstmal mein RPG Maker Spiel komplettiert, dann wird ein weiterer Song gecovert und alsbald all dies fertig gestellt ist, folgt das nächste Kapitel - oder auch schon früher, wer weiß, wer weiß ... ^^

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Arget
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Post by Arget » Thu, 13. Oct 05, 22:20

Na gut, ich hab' Zeit.^^
Eigentlich könnte ich mal wieder ein wenig an der RPG-Maker-Karte rumbasteln, die noch auf meiner Platte rumfliegt... :roll:

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Post by LordZsar1 » Fri, 14. Oct 05, 13:49

Stehen die Früchte eurer Arbeit zur freien Verfügung?

Guest

Post by Guest » Sat, 15. Oct 05, 00:17

Kommt ganz drauf an, was du meinst.
Wenn du die RPG Maker-Sachen meinst, mein Spiel wird hier demnächst präsentiert. Kreatives in die kreative Zone halt. Dass Arget etwas diesbezüglich macht ist mir selbst neu, ich glaube nicht, dass es da etwas gibt.

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Arget
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Post by Arget » Sat, 15. Oct 05, 12:15

Nein, bei mir gibt es bisher ja auch nur ein, zwei unfertige Karten, ein paar Namen und... ja, das war's eigentlich schon. :)
Ich bastel da immer wieder dran rum, wenn mir grade nichts anderes einfällt. :roll:

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